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Laudatio auf Prof. Forssman anlässlich seines 90. Geburtstages


 


Hans W. Hubert

Laudatio auf Prof. Dr. Erik Forssman
(gehalten am 13. Januar 2006 im Haus zur Lieben Hand)


Sehr verehrte Gäste,

meistens werden akademische Ehrungen von Amtsnachfolgern vorgenommen. Das ist heute Abend etwas anders, da der Anlaß für diese Feier der gut zwei Wochen zurückliegende 90. Geburtstag von Erik Forssman ist und ich bereits der Nachfolger des inzwischen auch schon emeritierten Nachfolgers von Herrn Forssman bin. Am Rednerpult stehen bzw. standen heute also Vertreter dreier Kunsthistorikergenerationen, und ich freue mich, dass auch die nun vierte Generation durch unsere Studenten im Publikum vertreten ist.
Selten genug kommt es vor, dass man den 90. Geburtstag eines Kollegen feiern kann, und dies allein wäre schon ausreichend Grund zu Freude. Wie Erik Forssman gerade eben durch seinen beeindruckend Vortrag gezeigt hat, ist er jedoch obendrein ein reger, geistig offener und immer noch aktiver Wissenschaftler. Es ist mir deshalb eine besondere Ehre, lieber Herr Forssman, Ihre kunsthistorischen Schriften in einer kurzen - und deshalb notgedrungen lückenhaften - Laudatio vorzustellen.

Erik Forssman wurde im Dezember 1915 als Sohn eines schwedischen Ingenieurs, Flugzeugkonstrukteurs und Erfinders sowie einer deutschen Mutter in Berlin geboren; Er wuchs in Kassel auf, wo er 1935 das Abitur ablegte. Wie die meisten seiner Schulkameraden war er sich damals über seine Berufswünsche noch nicht im Klaren. Die zu jener Zeit bereits allenthalben spürbare nationalsozialistische Umformung der Gesellschaft hatte ohnehin alle individuellen Lebensziele in weite Ferne entrückt; Im Unterschied zu seinen deutschen Altersgenossen musste er als schwedischer Staatsbürger jedoch kein Soldat werden und auch der Arbeitsdienst vor dem Studienbeginn blieb ihm erspart. Forssman konnte also – wie er es selbst einmal ironisch formuliert hat – „im tausendjährigen Reich die Ereignisse als Gast und Zuschauer erleben“.
Dies enthob ihn freilich nicht, für seinen Lebensunterhalt zu sorgen. Sein ausgeprägtes Interesse an illustrierten Kunstbüchern führte ihn bald in den damals hoch angesehenen Buch- und Kunstverlag E. A. Seemann in Leipzig, wo er als Hersteller tätig wurde.
Dort lernte er die zahllosen Möglichkeiten der Buchgestaltung kennen und wurde in besonderer Weise für das graphische Gewerbe sensibilisiert, was vielen seiner späteren Schriften anzumerken ist. Als Quereinsteiger mit Berufserfahrung - wie man heute sagen würde – begann Forssman schließlich 1942 nebenbei an der Leipziger Universität Germanistik, Philosophie und Kunstgeschichte zu studieren. Einen bleibenden Eindruck hinterließ auf ihn der in Leipzig lehrende Germanist Hermann August Korff, Verfasser des seinerzeit vielbeachteten Buches „Geist der Goethezeit“, und mit der Kunst der Goethezeit sollte sich Forssman später kontinuierlich beschäftigen.
Die Bombardierung Leipzigs Ende 1943 legte die Stadt und mit ihr die Universität und den Seemann-Verlag in Trümmer. Forssman ging nach Göttingen, wo er nun bei Heinz Rudolf Rosemann Kunstgeschichte und zwar im Hauptfach studierte. Ohne Abschluß begab er sich nach Kriegsende als mittlerweile 30jähriger Student nach Schweden, um dort noch einmal von vorne anzufangen.
Im Bermann-Fischer Verlag, der in das neutrale Ausland emigriert war und dort vor allem die Werke Thomas Manns herausgab, fand Forssman sein finanzielles Auskommen. Nebenbei führte er sein Kunstgeschichtsstudium weiter und promovierte 1951 mit einer Dissertation über die Ornamentik der Wasazeit. 1956 folgte Forssmans Habilitation bei Sten Karling an der Universität von Stockholm, die als Buch in der vornehmen schwedischen Reihe „Acta Universitatis Stockholmiensis“ aber in deutscher Sprache mit dem Titel „Säule und Ornament“ erschienen ist. Damit ist eines seiner zentralen wissenschaftlichen Themenfelder genannt, nämlich das der Architektur, der Architekturtheorie und der Architekturikonologie.
Mit dieser Publikation verbindet mich eine persönliche Erinnerung, die ich kurz schildern möchte: Es war im Winter 1979/80. Ich studierte damals in Berlin im dritten Semester Kunstgeschichte, als dort endlich ein Dozent Seminare zur italienischen Architektur anbot, in denen nicht eine phänomenologisch ausgerichtete Stilkritik im Vordergrund stand, sondern in denen die Architekturtheorie des 15. u. 16 Jh. thematisiert wurde, um zu einem tieferen Verständnis der Werke zu gelangen. Uns jungen, wissbegierigen Studenten, die wir begannen, uns auch für Methodenfragen des Faches zu interessieren, erschien die kontextualisierte Betrachtung der Kunst durch die Brille der zeitgleichen Kunsttheorie außerordentlich fruchtbar, denn sie hob sich positiv von der einfühlenden und dabei geschmacklich häufig subjektiv gefärbten Kunstbetrachtung ab, die damals noch oft in den Lehrveranstaltungen dominierte.
Erst langsam wurde uns Studenten jedoch klar, dass nicht der junge Dozent der methodische Neuerer im Fache war, für den wir ihn zunächst gehalten hatten, sondern dass es zu diesem Thema bereits allerhand an wissenschaftlicher Literatur gab. Sie war zwar beileibe nicht so umfangreich wie heute, aber dennoch waren unter den Titeln einige profunde Forschungsarbeiten, die bereits damals unverkennbar den Charakter von Standardwerken angenommen hatten. Forssmans „Säule und Ornament“ gehörte ebenso hierzu wie sein 1961 erschienener „Klassiker“ mit dem Titel: „Dorisch, ionisch, korinthisch“.
In „Säule und Ornament“ gibt Forssman einen Überblick über die Säulenbücher der nordischen Handwerker und Theoretiker. Es handelt sich dabei aber nicht um eine inventarartige Erfassung dieser wichtigen Quellenwerke und Ornamentblätter, sondern um die Bestimmung der formalen, dekorativen und semantischen Qualitäten der in diesen Werken behandelten Säulen, Ordnungen und Schmuckmotive. Sie resultierten aus der Auseinandersetzung mit Vitruvs berühmtem Architekturtraktat, der für die nordische Baukunst also ebenso entscheidend war, wie für diejenige des Südens, nur dass der Vitruvianismus im Norden, wie Forssman schon sehr früh mit methodischer Weitsicht betont hat, eine ganz andere Sinngebung zu erfüllen hatte und folglich auch eine unterschiedliche Formgebung hervorbrachte, als in seinem Ursprungsland Italien.
Forssman charakterisiert in seinem Buch die verschiedenen Phasen des nordischen Vitruvianismus und der Aneignung und Weiterbildung des manieristischen Ornaments von etwa 1550 bis in die 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts. Auch hat Forssman im Diskurs über das Zeitalter und den Begriff des Manierismus zurecht hervorgehoben, dass die Säulenordnungen im Norden gar nicht in ihrem Verhältnis zur Natur, sondern als moderner italienischer Stil wahrgenommen wurden, und daß sie auch nur indirekt über Architekturbücher und Ornamentstiche – also gewissermaßen „als Spiegelung einer Spiegelung“ rezipiert wurden.
Forssman gelang es durch diese vielschichtige Betrachtung, das Gliederungselement Säule in seiner semantischen Aufladung und in seiner künstlerischen Brechung zwischen Süden und Norden buchstäblich „zum Sprechen zu bringen“. Zugleich ist sein Buch ein frühes und wichtiges Plädoyer für den methodisch untrennbaren Zusammenhang von Stil und Ikonologie, wie er gerade für die Kunst des Manierismus so charakteristisch ist.
Sein in zahlreiche Sprachen übersetztes Buch mit dem eingängigen Titel „Dorisch, ionisch, korinthisch“ von 1961 knüpft inhaltlich und logisch direkt an seine Habilitationsschrift an. Forssman behandelt hierin nämlich die praktische Anwendung der Säulenordnungen, also die Umsetzung der in den Traktaten und Stichwerken formulierten und illustrierten Gedanken, wobei er allerdings einen größeren zeitlichen Bogen - von der Renaissance bis zum Klassizismus - spannt und auch eine stärkere geographische Streuung vornimmt. Das souverän formulierte und mit sicherem ästhetischem Urteil geschriebene Buch ist seit langem ein Standardwerk unseres Faches. Sein Inhalt - die Ausbildung des Begriffes „Säulenordnung“ bei den italienischen Theoretikern, die epochenübergreifende ikonologische Bedeutung der drei Säulen-modi, die verschiedenen Gestaltungsmöglichkeiten als Superposition oder Kolossalordnung sowie ihre unterschiedliche Ausbildung und Anwendung von Alberti über Bramante bis zum Ausklang des Vitruvianismus im 18. Jahrhundert - dieser Inhalt gehört längst zum Allgemeinwissen unserer Disziplin.
Winfried Nerdinger hat diesbezüglich einmal treffend gesagt, „dass Forssman eine Reihe Bücher geschrieben hat, ohne die man als Architekturhistoriker gar nicht denken kann“. Der jungen Generation wird dieses Wissen heute in der Regel indirekt, d.h. über neuere Handbücher und durch Dozenten in den Propädeutika vermittelt, so daß ihr die bahnbrechende Durchdringung des Themas, die Forssman vor nun bald einem halben Jahrhundert geleistet hat, häufig gar nicht mehr bewußt wird.
Ebenfalls in den Bereich der Architektur und Kunsttheorie gehören Forssmans Arbeiten über Andrea Palladio. Die Begegnung mit Palladio verdankte Forssman nach eigener Aussage einem Zufall mit formender Wirkung, denn am Anfang stand seine Teilnahme an einem der ersten Kurse des Centro Internazionale di Studi die Architettura Andrea Palladio in Vicenza im Jahre 1960. Die direkte Begegnung mit den Werken Palladios und die unmittelbare Auseinandersetzung mit den Kollegen aus Italien und aus anderen Nationen sollten sich zu einer langwährenden monographisch ausgerichteten Beschäftigung mit diesem Architekten entwickeln. Die erste große Frucht dieser Studien war das 1965 erschienene Buch „Palladios Lehrgebäude. Studien über den Zusammenhang von Architektur und Architekturtheorie bei Andrea Palladio“, in dem er sowohl das gebaute Werk, als auch die Theorie als Ausdruck eines einheitlichen architektonischen Denkens deutet, und beide in wechselseitiger Erhellung erläutert.
Ich erinnere, daß ich als junger Student die Lektüre als ein fulminantes Erlebnis empfunden habe, was zum einen natürlich an dem enormen persönlichen Erkenntnisgewinn lag, zum anderen aber an der klaren gedanklichen Durchdringung des komplexen Themas bei Konzentrierung auf das Wesentliche, sowie an Forssmans sachlicher zugleich aber lebendiger Sprache. Die Skizze zu Palladios Werdegang, die grundsätzlichen Gedanken zu Nachahmung und Erfindung und die analytische Auseinandersetzung mit architektonischen Typen seiner reifen Zeit, ihre Ableitung aus antiken Vorbildern und ihre Erläuterung durch Palladios Theorie sowie die abschließende Analyse von Palladios Lehrgebäude und von seinem Stil gehören nach wie vor zum Lesenswertesten über die Baukunst dieses großen Baumeisters. Seine internationale Reputation als Palladio-Kenner schlug sich auch in seiner Mitarbeit am Corpus Palladianum nieder (1973).
Forssman Gabe, auch komplizierte Sachverhalte sprachlich unprätentiös darzustellen, kommt nicht nur seinen Forschungsarbeiten generell zu Gute, sondern sie prädestiniert ihn geradezu für die Wissensvermittlung an ein breiteres Publikum. Gelegentlich hat er sich in dieser Richtung betätigt, so z.B. in dem Taschenbuch über Werk und Wirkung von Palladio, das in Rombachs Wissenschafts-Reihe „studeo“ erschienen ist, oder in seinem wichtigen Überblickswerk über den dorischen Stil in der deutschen Baukunst. (2001, Rombach, Reihe: Archi/Pictura).
Forssman verdanken wir übrigens auch die Herausgabe und Einleitung der schönen Faksimile-Ausgabe von Palladios Quattro Libri dell’architettura, die im Georg-Olms-Verlag mittlerweile bereits in 2. Auflage erschienen ist (1970 und 1999) sowie den ebenfalls bei Olms (1973) publizierten Nachdruck von Walter Rivius’ deutscher Vitruvübersetzung aus dem Jahre 1548. Mit der Architekturtheorie im Zeitalter Elias Holls hat er sich in einem eigenen Beitrag 1985 beschäftigt.
Aus der durch Palladio angeregten Begegnung mit der Kultur Venedigs entstand das Buch „Venedig in der Kunst und im Kunsturteil des 19. Jahrhunderts“ (1971) sowie der 1986 erschienene (vom deutschen Studienzentrum in Venedig herausgegebene) Essay über „Vier Jahrhunderte venezianische und europäische Vedutenmalerei“. Das Buch ist eine frühe rezeptionsgeschichtliche Untersuchung in der Forssman die Geschichtsmalerei, die Stellung der venezianischen Meister im Kunsturteil des 19. Jahrhunderts sowie die Rolle Venedigs für die europäische Kunst derselben Epoche behandelt. Forssman begab sich damit auf das grundsätzlich anders geartete Feld des Kunstschaffens in der Zeit nach dem ancien régime. Hierfür gibt es biographische Gründe; kehren wir deshalb zurück zur Chronologie der Ereignisse:
Als der während der nationalsozialistischen Herrschaft emigrierte Fischer Verlag Schweden wieder verlassen konnte, musste sich Forssman nach einer neuen Tätigkeit umsehen und fand zunächst als Assistent, ab 1957 dann als Direktor des Zorn-Museums in Mora eine Anstellung. Damals begann seine Beschäftigung mit der Malerei des 19. Jahrhunderts, der seinerzeit in der Regel noch wenig akademische Aufmerksamkeit zu Teil wurde.
Das Museum beruht auf einer Stiftung des sehr vermögend verstorbenen schwedischen Malers und Zeichners Anders Zorn (1860-1920), der der bedeutendste schwedische Vertreter der Belle Époque ist. Abseits der intellektuellen Diskussionen schuf Zorn dank seines vitalen Talentes mit einem an Manet geschulten souveränen Farbauftrag immer wieder großartige Bilder und erzielte damit seine Triumphe in der sog. „besseren Gesellschaft“. Seine Gemälde wurden bis zum Ersten Weltkrieg in Deutschland oft gezeigt, und seine Radierungen waren sehr beliebt. Auch erfreute er sich der persönlichen Wertschätzung Walter Leistikows und Max Liebermanns, doch geriet er nach seinem Tod bald in Vergessenheit, weil seine Malerei angeblich nur nach den Salons und einem finanzstarken Publikum geschielt hätte und im Kern antimodern gewesen sei. Schnell geriet Zorn daher in den Schatten seines norwegischen Zeitgenossen Edvard Munch (1863-1944). In Deutschland musste man ihn deshalb regelrecht wieder entdecken, wozu Forssman übrigens mit der 1976 in Freiburg organisierten Graphik-Ausstellung beitrug. Als Leiter des Zornmuseums veröffentlichte Forssman einen Inventarband über Anders Zorns Silbersammlung (Stockholm 1955) und einen weiteren über dessen beachtliche Kunstsammlung (1964). In dieser Zeit entstand auch ein in schwedischer Sprache verfasstes, bei uns deshalb kaum bekanntes Überblickswerk über die deutsche Malerei des 19. Jahrhunderts.
An der großen Zorn-Ausstellung, die Jens Christian Jensen 1989/90 in Kiel und in München gezeigt hat, war Forssman mit einem interessanten Beitrag über das Verhältnis und die Beziehungen Zorns zur deutschen Kunst und seinen deutschen Malerkollegen beteiligt – ein Fragenkomplex, der übrigens später durch die Dissertation von Cecilia Lengefeld ganz im Sinne der von Forssman formulierten Thesen vertiefend behandelt wurde. Auch mit Zorns heute berühmteren Antipoden, Edvard Munch, setzte sich Forssman auseinander, wobei er sich Gedanken über die adäquate Methode, einem so eigenwilligen Maler von Seelendramen wie Munch beizukommen, machte (1994). In einem Beitrag im Katalog des Augustinermuseums von 1989 hat sich Forssman dann in ähnlicher Weise um das Verständnis des deutschen Malers Hans Thoma und um dessen Kunstphilosophie bemüht. Die Kunst des 19. und frühen 20. Jahrhunderts wurde also schon früh zu Forssmans zweitem wissenschaftlichem Standbein.
Durch die Beschäftigung mit Zorns Kunstsammlung erschloß sich Forssman ein weiteres Forschungsgebiet, das des Kunsthandwerks, das in der akademischen Disziplin nach wie vor kaum verankert ist. Umso bemerkenswerter ist es, dass er sich in einer ganzen Reihe von Beiträgen zu diesem Themenfeld geäußert hat. Ich erwähne nur einige davon: Seinen ebenso umfangreicher wie grundsätzlicher Aufsatz über „Renaissance, Manierismus und Nürnberger Goldschmiedekunst“ im Ausstellungskatalog zu Wenzel Jamnitzer (Nürnberg 1985). Seinen „Versuch über deutsche Goldschmiedekunst“ von 1992, in dem er dem deutschen Renaissancestil in den Silbernen Treibarbeiten Nürnberger, Augsburger und Hamburger Goldschmiede nachspürt und seinen Essay über die „Goldschmiedekunst und Stillebenmalerei im Holland des 17. Jahrhunderts“ (Festschrift Helmut Seling, 2001), in dem sich Forssman kritisch mit dem Problem der Sinnhaftigkeit von Stillebenbildern und der Wertigkeit von Werken der Malerei und der Goldschmiedekunst auseinandersetzt.
Viele der genannten Arbeiten sind nicht mehr in Schweden, sondern bereits in Deutschland entstanden. 1970 hatte Forssman nämlich gleichzeitig den Ruf auf die Lehrstühle in Bonn bzw. in Freiburg erhalten. Beide Universitäten kannte er durch vorausgegangene Gast- bzw. Vertretungsprofessuren. Wir alle schätzen uns natürlich sehr glücklich, daß er sich für Freiburg entschieden hat, wo er bis zu seiner Emeritierung 1984 als hochgeschätzter Lehrer tätig war. Bei anhaltender wissenschaftlicher Produktivität hat er in diesen Jahren, die durch die Entwicklung zur Massenuniversität gekennzeichnet waren, über 50 Doktoranden betreut.
Neben Zorn und der großen Umbruchszeit am Ende der Belle Époque hat sich Forssman vor allem für das frühe 19. Jahrhundert interessiert, besonders für den Baumeister Karl Friedrich Schinkel. Ihm widmete er eine profunde Monographie, die noch im „Schinkeljahr“ 1981 erschienen ist, die aber bereits einen Großteil der Publikationen, die anlässlich des 200. Geburtstags des Architekten publiziert worden waren, berücksichtigt. Es ist wohl das lesbarste Werk über den Baumeister überhaupt. Ihm ließ Forssman später noch einige Aufsätze zur historischen Verortung von Schinkels Baukunst zwischen Revolution und Restauration (1995 und 1997), zu Schinkel und seinem Verhältnis zur Architekturtheorie sowie zu Schinkels Umkreis folgen (2001).
In diesem Zusammenhang muß auch Forssmans großes und dauerhaftes Interesse für Goethe erwähnt werden: Die Grundlage dazu mag einst der Germanistikprofessor Korff in Leipzig gelegt haben. Wenn ich recht sehe, ist es aber weniger ein akademisches, als ein inneres Anliegen, das Forssman hierbei antreibt. Denn es ist das in der Goethezeit ausgebildete bürgerliche Kunstverständnis, dem sich Forssman verbunden fühlt, also die Vorstellung, dass Kunst nicht vornehmlich der Repräsentation dienen und das Dasein von Standespersonen verschönern sollte, sondern dass es ihre Aufgabe sei, zur Bildung aller Menschen beizutragen und dass sie gleichzeitig ein Mittel zur Selbstfindung und Selbstverwirklichung des freischaffenden Künstlers werden solle. Sein grundlegendes, nach den verschiedenen Kunstgattungen strukturiertes und über dreihundert Seiten starkes Buch erschien 1999 unter dem lapidaren Titel „Goethezeit“ und behandelt die einschneidenden Wandlungen und Neuerungen auf den Gebieten der Künste vor ihrem geistesgeschichtlichen Hintergrund. Noch im vergangenen Jahr schob Forssman das Büchlein über Goethes Kunsttheorie nach, die dieser in seiner Schrift „Einfache Nachahmung der Natur, Manier, Stil“ dargelegt hat.
Es ist das Kunstverständnis der Goethezeit, welches das deutsche Bildungsbürgertum des Idealismus geprägt hatte und das in der Person Forssmans so etwas wie einen späten Nachfahren besitzt. Dabei ist sich Forssman der kulturellen Distanz zu jener Zeit durchaus bewusst und in seinem knappen Nachwort mit dem Titel „Was von der Goethezeit übrig blieb“ skizziert er das in der entstehenden Industriegesellschaft schon früh auseinandergedriftete Verhältnis von Bildung und Bürgertum: Zurecht betont er aber, daß gerade unsere Profession - die Kunstgeschichte, ihre Methoden und auch ihr eigentlicher Ort, das Kunstmuseum, Kinder der Goethezeit sind, und er mahnt, daß die verbindende Brücke zwischen individueller Bildung und allgemeinem Bildungsstand, die ihre Wurzeln in der bürgerlichen Kunstauffassung besitzt, auch in der Moderne nicht fahrlässig preisgegeben werden sollte.

Ich habe versucht, die fünf großen Themenfelder zu umreißen, die die Kunstgeschichte mit dem Namen Forssman verbindet: Architekturtheorie der Renaissance, Andrea Palladio, Kunstgewerbe, die Kunst der Goethezeit mit Schinkel sowie die Malerei der Zeit um 1900. In einer ungewöhnlichen Vielzahl von Publikationen hat er hierzu seine Ansichten vorgetragen und mit zahlreichen, von mir nicht eigens genannten Rezensionen hat er die Vertiefung dieser Forschungsgebiete kritisch reflektierend begleitet. Die akademische Anerkennung für diese Leistungen ist nicht ausgeblieben:
Forssman ist Mitglied der Königlichen Gustav Adolf Akademie in Uppsala, der Wissenschafts-Akademie in Stockholm sowie der Heidelberger Akademie der Wissenschaften. Für längere Zeit war er Mitglied des wissenschaftlichen Rates des Centro Palladio in Vicenza und des wissenschaftlichen Beirats des Deutschen Studienzentrums in Venedig. Last but not least wurde Forssman 1994 mit dem Bundesverdienstkreuz 1. Klasse geehrt.

Seine Sachforschung hat Erik Forssman immer wieder durch methodische Überlegungen bereichert: manchmal ausdrücklich wie in seinem tiefschürfenden Aufsatz „Ikonologie und allgemeine Kunstgeschichte“ von 1966 (erneut 1979), in dem er sich mit Panofskys ikonologischem Interpretationsmodell auseinandersetzt und wohlbegründete Ergänzungsvorschläge unterbreitet um vermeintliche Gegensätze mit der Stilgeschichte aufzulösen. Zu nennen wären auch seine Freiburger Antrittsvorlesung vom WS 1972/73 „Über Ursache und Wirkung in der Kunstgeschichte“ (in Ästhetik heute. Sieben Vorträge, hrsg. V. Anastasios Giannaràs, München 1974) oder sein Beitrag „Die Kunstgeschichte und die Trivialkunst“ (1975). Oftmals hat Forssman seine methodische Reflexion aber auch nebenbei in den Text seiner Abhandlungen eingeflochten. Was man immer erwarten darf, wenn man einen Beitrag Forssmans liest, ist daher ein grundsätzliches Interesse für Form und Bedeutung der Kunst - oft in der Verbindung mit Kunsttheorie - sowie methodologische Reflexionen über die Frage was Kunstgeschichte ist, was sie soll und was sie sein kann.
Es muß deshalb auch nicht verwundern, daß die meines Wissens einzige kunsthistorische Stellungnahme zu Thomas Bernhards Komödie „ Alte Meister“ aus Forssmans Feder stammt. Sie ist in der Festschrift für Jürg Meyer zur Cappellen (2001) nachzulesen, der sich bei ihm in Freiburg habilitiert hat.
In Thomas Bernhards Erzählung besucht der fiktive Musikkritiker und Pensionär Reger täglich das Kunsthistorische Museum in Wien, um dort in den berühmten Meisterwerken nach Fehlern zu suchen und sich monologischen Haßtiraden und Beschimpfungen gegen die Museen, die Kunst und die Kunsthistoriker hinzugeben.
Die Kunsthistoriker - so Reger - würden mit ihren unerträglichen Erklärungen die Kunst zu Tode reden, dem naiven Betrachter dadurch ein eigenes Urteil unmöglich machen, ja sogar das Kunsterlebnis für ihn vernichten – und all dies, weil die Kunsthistoriker durch ihr akribisches Studium selbst am Leben und an der Kunst kein Vergnügen mehr besäßen, da sie mit der Zeit ihre eigene Naivität verloren hätten. Forssman antwortet dem Verdikt vom ‚Kunsthistoriker als Kunsttöter’, mit dem uns Thomas Bernhard in der Sprache Regers konfrontiert, nicht wie ich - durch Fortlegen des Buches nach gelangweilter halber Lektüre - , sondern durch offene, einsichtige Worte über das Grundproblem unserer Disziplin: nämlich den Gegensatz von Kunst-Erforschung und Kunst-Vermittlung und die uns allen bekannten Schwierigkeiten ein Gleichgewicht zwischen Forschung, methodischer Aufbereitung ihrer Ergebnisse und deren verbaler und literarischer Vermittlung herzustellen. Mit den Worten Goethes, der in der Einleitung zu seinen „Propyläen“ das Problematische des unaufgeklärten und naiven Kunstgenusses bereits gesehen hatte, der ja unweigerlich zum unreflektierten, subjektiven und sentimentalen Selbstgenuß führt, wirbt Forssman um Verständnis für unsere professionelle Tätigkeit: „Das schlechteste Bild“ - so heißt es da – „kann zur Empfindung und zur Einbildungskraft sprechen, indem es sie in Bewegung setzt, los und frei macht und sich selbst überlässt; das beste Kunstwerk spricht auch zur Empfindung, aber eine höhere Sprache, die man freilich verstehen muß: es fesselt die Gefühle und die Einbildungskraft; es nimmt uns unsere Willkür; wir können mit dem Vollkommenen nicht schalten und walten wie wir wollen, wir sind genötigt, uns ihm hinzugeben, um uns selbst von ihm, erhöht und verbessert, wieder zu erhalten.“ Diese Maxime durchzieht, so scheint mir, Forssmans reichhaltiges wissenschaftliches Werk, in dem er sich stets ansprechend und erfolgreich um ein tiefer vermittelndes Verständnis der Kunstwerke bemüht hat.

Lieber, verehrter Herr Forssman, wir freuen uns sehr, dass wir mit Ihnen und Ihrer Familie, anlässlich Ihres 90. Geburtstages diese kleine Feier veranstalten konnten. Das Kunstgeschichtliche Institut der Universität Freiburg, seine Studenten und Ihre Schüler, verdanken Ihrem Wirken hier sehr viel, und ich möchte Sie bitten, den Abend gemeinsam mit uns bei einem Glas Wein ausklingen zu lassen. Hier unten in der Gaststätte im Haus zur Lieben Hand ist dafür ein kleines Büffet aufgebaut. Alle vier anwesenden Generationen sind hierzu herzlich eingeladen.

Vielen Dank