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Bildende Künste als psychagogische Medien der Jesuiten

 



Projektziel und Inhalte


Das Projekt ist Teil eines vom FWF (als leading agency) und der DFG (Deutsche Forschungsgemeinschaft) finanzierten D–A–CH–Projektes, das vom Forschungsbereich Kunstgeschichte des IHB bzw. vom Kunstgeschichtlichen Institut der Albert-Ludwig-Universität Freiburg im Breisgau getragen wird. Grundlegend für das Projekt ist die Erkenntnis, dass die Jesuiten ein gesamtheitliches, von theologischen, apostolischen und künstlerischen Aspekten getragenes Konzept der Seelenführung (Psychagogie) entwickelt haben, dessen Wirkungsabsicht darin bestand, mithilfe visueller, baulicher und anderer Medien den einzelnen Gläubigen zu einer christlich-frommen, zugleich aber weltbejahenden Haltung zu erziehen.

Antoni Sucquet Via vitae aeternae (1630)Dieses Konzept wurde auf der Basis der ars oratoria (Sprachtheorie und Rhetorik) sowie naturwissenschaftlicher Theorien (Optik, Akustik, Perspektive, Illusionismus) umgesetzt, wobei ordenseigene jesuitische Gelehrte bedeutende Vertreter der einzelnen Disziplinen waren und diese weiterentwickelten. Letztere lehrten u.a. an Universitäten in Österreich wie in den Nachbarländern.

Seit langem haben die Forschungen gezeigt, dass die Gesellschaft Jesu in der Politik und im Kulturleben der Habsburger-Monarchie eine essentielle Rolle spielte. Umgekehrt besaß das habsburgische Machtzentrum eine besondere Relevanz für die Entwicklung des Ordens bis zu seiner Aufhebung. Deshalb lenkt das Forschungsprojekt ein besonderes Augenmerk auf die Austriaca Provincia sowie auf den süddeutschen Kulturbereich mit dem Bistum Konstanz und den habsburgischen Vorlanden. Kurz: die österreichische sowie die ehemalige Oberdeutsche Ordensprovinz.

Die wichtigsten Quellen der Untersuchung sind neben technischen und wissenschaftlichen Abhandlungen der Jesuiten die zahlreichen akademischen Lehrberichte (handschriftlich oder gedruckt), kleine Periodica sowie umfangreichere Bühnentexte. Hinzu kommen Inventare der technischen Ausstattung von Ordenshäusern sowie akademischen Institutionen.

Abb. 1: Boetius a. Bolswert: Titelblatt zum Andachtsbuch ”Via vitae aeternae” (Antoni Sucquet S.J),1630. (Bildnachweis: Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, http://diglib.hab.de/drucke/420-2-theol/start.htm)

Studienobjekte sind außerdem Räumlichkeiten der Jesuiten, deren komplexe Ausstattungen und die zugehörigen Infrastrukturen, Apparaturen und Einrichtungen für Predigt und Glaubensvermehrung, als da wären: Kirchenräume, Oratorien, Ordenshäuser, Refektorien und Bühnenräume. Sie wurden zumeist nach dem neuesten Stand der Technik und künstlerischen Gestaltungsmethoden konzipiert und zwar in einem Ausmaß, wie es bis zu diesem Zeitpunkt von keinem anderen Orden praktiziert worden war. Bei der Untersuchung soll die hochentwickelte jesuitische Ausstattungskultur in Norditalien (Bologna, Parma-Piacenza) vergleichend herangezogen werden.

Von großem Interesse sind dabei die verschiedenen ineinanderspielenden Kunstgattungen – vor allem die vornehmlich in Fresko-Technik ausgeführte illusionistische Quadratura-Malerei, die Skulptur sowie das Bühnenbild, die Choreographie und auch die (nur mittelbar überlieferte) Kunst des Schauspielens. Sie waren den psychagogischen Zielen in besonderer Weise dienlich und wurden deshalb vom Orden programmatisch gefördert. Dadurch trugen die Societas Jesu und weitere durch sie beeinflusste kirchliche Akteure wesentlich zum Fortschritt der Künste bei. Das Neuland, das im Rahmen des Projektes erschlossen werden soll, ist die Herausarbeitung der vom Orden erlangten Synthese zwischen den gestaltenden, den szenisch darstellenden Künsten und den mathematischen Wissenschaften, dessen Wichtigkeit insbesondere für die Raumgestaltung von der Wiener Forschung (Richard Bösel) erkannt wurde.

Leobild

Abb. 2: Jesuitenkolleg von Freiburg, Idealtypische Ansicht der ab 1691 nach Entwürfen von Heinrich Mayer (Kirche) und Johann Baptist Heintze (Kolleg) erbauten Anlage. (Bildnachweis: GLAK Freiburg/Stadt Fasz. 2195 http://www.landesarchiv-bw.de/plink/?f=4-24374)

 

Veranstaltete Tagungen und Kongresse


Tagung: Pluralität in den künstlerischen und architektonischen Theorien der Jesuiten, Wien, März 2023.

Kongress/Workshop: The Jesuit Educational Centres for the Arts and Sciences. Mailand, Januar 2022.

Kick-off-Veranstaltung: Die Entwicklungen der visuellen Künste zu „psychagogischen“ Medien der Gesellschaft Jesu. Wien, Juni 2021.


Tagungsbeiträge


Paolo Sanvito, The significance of emblematics in Jesuit spaces in examples from the German Assistance, Médiathèque du patrimoine et de la photographie, Paris, November 2023.

Tanja Perica-Ott, On Knowing: Art, visuality and the hierarchies of the gaze, Médiathèque du patrimoine et de la photographie, Paris, November 2023. 

Sylvia Stegbauer, The expression of a meditation programme through staircases. Examples in the Jesuit Colleges of the Austrian Province, Österreichische Akademie der Wissenschaften, Wien, März 2023.

Tanja Perica-Ott, Edifices to edify the soul, Österreichische Akademie der Wissenschaften, März 2023.

Paolo Sanvito, Synthetism, Rationalism, Pauperism, Reduced Style, Aesthetics of the Wonder. Attempts at Definitions, Österreichische Akademie der Wissenschaften, März 2023.

Paolo Sanvito u. Tanja Perica Ott, Projektpräsentation auf der Jahrestagung des Jesuitica Vereins, Lasalle-Haus, Luzern, Mai 2022.

Paolo Sanvito, The two Jesuit Saints as subjects of stage and sacred spaces north of the Alps, Universität Barcelona, Fakultät für Geographie und Geschichte. Mai 2022.

Tanja Perica-Ott, The Jesuit Intentions to Sanctity and the Festivities in Ingolstadt, Universität Barcelona, Fakultät für Geographie und Geschichte. Mai 2022.



Publikationen


Paolo Sanvito: „Central European Jesuit Chemistry and Medical Research. Its Role in the Development of Illustrated Scientific Handbooks and Georg Joseph Kamel’s Bequest“. In Journal of Jesuit Studies, special issue ‐ Jesuit pharmacy and medicine. (ersch. 2025)

Tanja Perica-Ott (im Druck): „Edifices to edify the soul“, in: Paolo Sanvito (Hg.), Pluralität in den künstlerischen und architektonischen Theorien der Jesuiten, Hollitzer, Wien. (ersch. 2024)

Paolo Sanvito (im Druck): „Graz: a university and its spaces as a place of transition and dissemination of Jesuit culture from South to Central Europe“. In: The Jesuit Educational Centres for the Arts and Sciences (History of Early Modern Educational Thought), Brill, Leiden. (ersch. 2024)

Tanja Perica-Ott (im Druck): „Redemption through the Mind. Controversy and the Arts at the Beginning of Jesuit Scholarship in Germany“. In: The Jesuit Educational Centres for the Arts and Sciences (History of Early Modern Educational Thought), Brill, Leiden. (ersch. 2024)

Paolo Sanvito: „The two Jesuit Saints as Subjects of Stage and Sacred Spaces North of the Alps“. In: Territorios de la imagen, ed by S. Canalda, S. Caredda, R. Dilla and C. Vincent‐Cassy (Hg.), Edizioni Oratoriane, Rom, 2023, S. 277‐296.

Tanja Perica-Ott: „Jesuit intentions to sanctity and the festivities in Ingolstadt. In: Territorios de la imagen, ed by S. Canalda, S. Caredda, R. Dilla and C. Vincent‐Cassy (Hg.), Edizioni Oratoriane, Rom, 2023, S. 179-198.

Paolo Sanvito: „The Role of Jesuit Chemistry or Medicine research and the Development of Early Medical Handbooks“. In: Ut pictura medicina. Visuelle Kulturen und Medizin, Salzburg, 2023.

Paolo Sanvito: „Projektbericht: Der Beitrag Oberitaliens zur Entwicklung der Künste durch den Jesuitenorden.“, Frühneuzeit-Info 31, 2020, S. 168–173.




Buchprojekt: Die Heiligen Ignatius und Franz Xaver 1622 in Ingolstadt. Bild- und Textpraxis jesuitischer Festlichkeit.


Das Buchprojekt behandelt einen Ingolstädter Festbericht aus dem Jahr 1622. Dieser entstand dort anlässlich der Feierlichkeiten zur Kanonisierung der Heiligen Ignatius und Franz Xaver – wahrscheinlich aus der Feder des Universitätsabsolventen Johannes Sigismund Neuhaus – als handschriftlicher Eintrag in den Jahreschroniken des Jesuitenkollegs (Litterae Annuae). Ein Jahr später erfuhr der Bericht betitelt als "Divi Ignatius Loiola et Franciscus Xaverius" die Drucklegung bei Gregorius Haenlin. Die große Anzahl von Exemplaren des überschaubaren Büchleins (Format 16°) in den alten Beständen heutiger süddeutscher Universitätsbibliotheken zeugt von einer strategischen Verbreitung des Textes in den Kollegien der ehemaligen Oberdeutschen Jesuitenprovinz. Inhaltlicher Gegenstand des Berichtes sind die Aufwendungen zur Feierlichkeit, die u.a. in Form eines Bühnenaufbaus in der Jesuitenkirche, zweier temporärer Triumphbögen und einer großen kostümierten Prozession mit technisch beeindruckenden Schauapparaten vollzogen worden sein sollen.

Der Umstand, dass das handschriftliche Dokument als Vorlage des Drucks erhalten ist, erlaubt eine vergleichende Analyse textueller und sprachlicher Eigenschaften im Rahmen einer kommentierten Edition. Ein Ziel ist dabei, Manuskript und Druck im Hinblick auf ihre literarische und rhetorische Qualität zu untersuchen, was sowohl den sprachlichen Stil des Lateinischen als auch die Beschreibungsmethode der Kunstwerke betrifft. Aus diesem Grund erfolgt die Erschließung des Berichtes in interdisziplinärer Zusammenarbeit mit dem Seminar für griechische und lateinische Philologie. Ein weiteres Anliegen ist, die Beschreibungen inszenierter Architektur, Kulissen, Apparaturen und kostümierten Prozessionen im Hinblick auf die ästhetische Kunstreflexion in der jesuitischen Lehre und Kulturbildung zu beleuchten. Die Vielzahl an vergleichbaren jesuitischen Beschreibungen – nicht selten ebenfalls zum Anlass der Kanonisierung – lässt eine systematische Funktion als Lehr- und Übungstexte in den Disziplinen der Rhetorik und Geschichtsschreibung vermuten. Praktisch ermöglichte die Ekphrase unter Verwendung architekturtheoretischer Fachterminologie und performativer Erzähltechnik eine konkrete Vorstellbarkeit des Kunstwerks und appellierte den Leser so zur Anschauung des Objektes vor dem geistigen Auge und zur Bildempfindung. Der Fähigkeit zur sprachlichen Dokumentation und Deutung von Kunstobjekten fiel somit in der jesuitischen Erziehung eine wichtige Rolle zu. So verdeutlicht die Kunstbeschreibung zum einen das pädagogische Potential, zum anderen die historische Brisanz bildender Kunst im methodischen Gebrauch des Missionsordens.

Die Zusammenarbeit erfolgt mit .


Kontakte

Prof. Dr. Hans W. Hubert (Projektleiter)

Dr. phil. Dr. habil. Arch. Paolo Sanvito (Hauptbearbeiter)

(Dissertandin)

Laufzeit: März 2021 – Februar 2024

Finanzierung
Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG)
Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF)